10.05.2017
Praevenire

PRAEVENIRE GESUNDHEITSFORUM: FEIERLICHE ERÖFFNUNG UND RÜCKBLICK AUF PRAEVENIRE 2016



Am Abend des gestrigen 10. Mai fand der Auftakt zum zweiten PRAEVENIRE Gesundheitsforum im Stift Seitenstetten statt. Hans Jörg Schelling, BM für Finanzen, und Wolfgang Sobotka, BM für Inneres, schickten Videobotschaften. Eine hochkarätige Expertenrunde diskutierte über Versorgung und Nachhaltigkeit.



Dr. Armin Fidler, Vorsitzender des PRAEVENIRE Boards und der Hausherr, Abt Petrus Pilsinger, begrüßten die zahlreichen anwesenden Gäste pünktlich um 18:00 im barocken Promulgationssaal des Stiftes Seitenstetten. Fidler hob in seiner Begrüßung als Ziel von PRAEVENIRE hervor, die Performance des österreichischen Gesundheitssystems an der basalen Größe zu messen – am einzelnen Menschen. In seiner Analyse des österreichischen Gesundheitssystems zitierte er internationale Studien, die belegen, wie gut es insgesamt im Vergleich abschneide. Nichts desto trotz gäbe es viel zu verbessern, besonders im Bereich einer vernetzten Betrachtung der verschiedenen Sektoren des Systems.

In seiner Begrüßungsrede sprach Abt Pilsinger über das Selbstverständnis des seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Bendektinerstiftes Seittenstetten. Eine wichtige Grundregel des heiligen Benedikt sei es, das rechte Maß zu finden, und sah diese Maxime durchaus mit den Parametern „Leib, Seele, Herz“ auf die Gesundheit anwendbar. Er freute sich, dass PRAEVENIRE nach dem großen Erfolg des Jahres 2016 nun bereits zum zweiten Mal im Stift Seitenstetten stattfindet. In seiner Videobotschaft wünschte Dr. Hans Jörg Schelling, Bundesminister für Finanzen, dem Praevenire Gesundheitsforum eine lange zukünftige Tradition. Dem 900 Jahre alten Kloster wünschte er, es möge „ein Kultort für Gesundheitspolitik werden“. Es gehe darum, die Modellprojekte des letzten Jahres zu evaluieren und aus ihnen zu lernen, denn „Gesundheitspolitik ist nichts Abstraktes. Sie muss beim Menschen ankommen. Die drei wesentlichen Elemente sind Prävention, Heilbehandlung und Wissen darüber, was im Gesundheitssystem passiert und was man selbst zur eigenen Gesundheit beitragen kann. PRAEVENIRE ist hier ein wichtiger Meilenstein“, so Finanzminister Schelling.

Klare Worte fand Dr. Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, der Österreich in seiner Keynote Aufholbedarf in Bezug auf dessen Gesundheitskompetenz attestierte und über den aktuellen Wandel in der Medizin reflektierte: „Wir leben in einer Zeit, in der das medizinische System im Umbruch ist. Viele Fächer sind im Wandel. Außerdem leben wir in einer Zeit unermesslicher technischer Innovationen, die uns in einer Weise betreffen werden, die wir nicht ermessen können. Das impliziert viele Fragen, vor allem in der Ausbildung. Wir müssen stark reflektieren, wofür wir Studenten ausbilden und wie die Medizin in zwanzig Jahren aussehen wird. Zudem ändert sich das Wissen ständig. Das verlangt uns Demut ab.“ Die Causa prima des Gesundheitsforums PRAEVENIRE, die Struktur des Gesundheitssystems auf den einzelnen Menschen hin zu vermitteln, betonte er als zentralen Schwerpunkt in der künftigen Arbeit der Medizinischen Universität Wien und sprach von einer „Renaissance der Präventionsmedizin“, denn die „neuen Technologien eröffnen neue Dimensionen und ändern dadurch die Möglichkeiten des medizinischen Wissens.“

In die Tat umsetzen
Es folgte ein Blick auf die vier PRAEVENIRE Partnergemeinden 2016. In Satteins (Vlb.), Haslach (OÖ), Pöggstall (NÖ) und Bruck/Mur (Stmk.) wurden in den letzten zwölf Monaten konkrete Maßnahmen zur Verbesserung unterschiedlicher Gesundheitsthemen gesetzt. Die Ergebnisse wurden von den anwesenden Experten und Projektleitern präsentiert. Fabian Frühstück erörterte die Ergebnisse des Modellprojektes zur Prävention und Früherkennung von Diabetes in der Vorarlberger Gemeinde Satteins. Mithilfe von Erhebungen und Aktionen, welche die gesamte Altersstruktur der Gemeinde in die Wissensvermittlung einbezog, wurde die Gesundheitskompetenz der Satteinser und Satteinserinnen zum Thema Diabetes nachhaltig gehoben. Die Stärkung von Bewegung und gemeinsames Reflektieren und Adaptieren der Ernährungsgewohnheiten standen im Zentrum der Bewusstseinsbildung zur Stoffwechselerkrankung.

Das Projekt „Durchatmen in Haslach“ setzte sich 2016-2017 mit der Lungengesundheit der Haslacher auseinander. Insgesamt setzte das Projekt auf Zugänglichkeit und Kontakt mit der Bevölkerung. Es wurden über 1000 persönliche Kontakte hergestellt und 700 Lungenfunktionstests durchgeführt. Dabei wurde die Struktur der Gemeinde in die Projektabwicklung einbezogen. Mit tatkräftiger Unterstützung der ortsansässigen Vereine, Schulen, des Gemeindeamtes und der Gebietskrankenkasse ergab sich ein positives Ergebnis. Dr. Erwin Rebhandl, der Leiter von „Durchatmen in Haslach“, resümierte seine Erfahrungen: Die Haslacher zeigten großes Interesse und das Thema Lungengesundheit sei in der Gemeinde angekommen. Trotzdem bleibe viel zu tun.

In Pöggstall wurde das Thema Impfwesen an die Bevölkerung vermittelt. In Zeiten von zunehmender Impfskepsis gab sich das Projekt das Motto: „Awareness. Aufklärung. Aktion.“ Gemeinsam mit den Pöggstallern kontrollierten Mediziner deren Impfpässe und erläuterten die Ziele des österreichischen Impfplans. Die Aktionen wurden von den Gemeindevertretern in Eigeninitiative fortgeführt und um Jahreszeiten konforme Impfaktionen erweitert. Zusätzlich wurde in Fragebögen die Einstellung der Pögstaller und Pögstallerinnen zum Impfen erhoben. Das Ergebnis war ernüchternd, aber durchwegs repräsentativ für gesamt Österreich: Die Durchimpfungsrate von Tetanus und FSME war hoch, weniger als 50 % waren Masern, Mumps und Röteln geimpft. 56,6 % der Bevölkerung waren Impfen gegenüber positiv eingestellt, 15,7 % skeptisch und 5,3 % deklarierten sich als Impfgegner. Schüler kristallisierten sich in Pöggstall als interessierte und für das Thema Impfen und Impfinformation zugängliche Gruppe heraus.

Die PRAEVERNIRE Modellgemeinde Bruck an der Mur beschäftigte sich mit mentaler Fitness. Neben der Steigerung der mentalen Fitness und der Gesundheitskompetenz in diesem Bereich bei den 16.000 Einwohnern, stand die Reduktion der Stigmatisierung des sensiblen Bereiches im Vordergrund des Projektes. Evaluierungen ergaben, dass Bruck an der Mur über die gesamte zur Disposition stehenden Infrastruktur zur Rehabilitation und Behandlung von psychischen Erkrankungen verfügt. Trotzdem zeichnete sich ein für Österreich typischer Trend ab. Europaweit hat Österreich die zweitniedrigste Erwerbsquote von Menschen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind.

Aktuelle Standpunkte zur Versorgung und Nachhaltigkeit
Am zweiten Teil des Abends lieferte eine hochkarätige Expertenrunde aktuelle Standpunkte zu den virulenten Themen Versorgung und Nachhaltigkeit. Als Einleitung wurde eine Videobotschaft von Wolfgang Sobotka, BM für Inneres, eingespielt: „Gesunde Ernährung und entsprechende Vorsorge gehören zum Einmaleins der Gesundheitskompetenz. PRAEVENIRE setzt direkt an den Wurzeln an und beschäftigt sich mit der Optimierung gesundheitsrelevanter Themen auf Gemeindeebene. Die Gesundheit der BürgerInnen vor Ort ist damit das zentrale Anliegen von PRAEVENIRE“, so Sobotka, der sich auch als Präsident des Alois Mock Instituts über die Kooperation mit PRAEVENIRE freute da diese ermögliche, das entscheidende Thema der Gesundheitsversorgung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die Ziele von PRAEVENIRE stünden im positiven Gegensatz zur in Österreich herrschenden „Vollkaskomentalität“, mit der die Österreicher ihre Gesundheit betrachteten.

Anschließend ging man im Rahmen einer Podiumsdiskussion der Frage zu Versorgung und Nachhaltigkeit im heimischen Gesundheitssystem nach. Dr. Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien, umriss seine Sichtweise auf Aktualität und Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems: „Meine Analyse des österreichischen Gesundheitssystems ist, dass es sehr deutliche Stresszeichen zeigt. Die derzeitigen Strukturen sind jedenfalls nicht mehr zukunftsfähig. Wir sind an einem Plateau angekommen und müssen Innovation und technologieunterstützte Prävention stärker in den Vordergrund rücken. In der näheren Zukunft erwarten uns gewaltige Herausforderungen, unter anderem weil wir alle drei Monate pro Lebensjahr älter werden und die digitale Revolution im Alltag angekommen ist. Wir werden uns daher noch intensiver damit auseinandersetzen müssen, wie wir damit in unserem Gesundheitssystem und unserer Arbeitswelt umgehen.“

Dr. Michael Gnant, Leiter der Universitätsklinik für Chirugie an der Medizinischen Universität Wien, bekräftigte Müllers Einschätzungen und sprach das Thema des mangelnden Glaubens an die Prävention in Österreich an: „Wir sind an einem Scheideweg, der über die einzelnen Fächer hinausgeht. Sagen wir ja zur Invention oder nein? Das Bewusstsein der Bevölkerung zu den unmittelbaren Vorteilen der Forschung ist in Österreich sehr gering ausgeprägt. Gehen wir verantwortlich und ethisch mit dem was wir wissen können um, und bringen es zum Nutzen der Menschen ein. Es braucht einen breiten Schulterschluss zwischen allen Stakeholdern im Gesundheitsbereich und ein Commitment zur Forschung. Wir müssen aufhören, uns auf den Status Quo zu beziehen und ihn als gut genug zu befinden. Der Status quo ist gut weil er dynamisch ist und wir durch Forschung zu ihm gekommen sind.“ Dr. Tanja Stamm, Leiterin des Instituts für Outcome Research der Medizinischen Universität Wien, sprach über die Chancen im Zusammenhang mit moderner Datenanalyse: „Herausforderungen sind Chancen. Die technologischen Entwicklungen ermöglichen uns mehr Parameter zu messen, zu analysieren sowie, Datensets zusammenzufügen. Technologische Innovationen, z.B. des Ambient Assisted Living können eine längere Betreuung zuhause und eine Reduktion von Kosten bei gleichzeitig hoher Lebensqualität ermöglichen. Wichtig ist, in allen Entwicklungen von Innovationen aber auch beim Messen der Wirkungsweisenm die Sichtweisen der Patientinnen und Patienten mit einzubeziehen. Was fehlt sind Studien mit großen Fallzahlen und mit sehr guten Studiendesigns zur Wirksamkeit dieser technologischen Innovationen.“

Ein weiteres wichtiges Thema in der Diskussion war die Lage der Primärversorgung. Dr. Erwin Rebhandl, Präsident der OBGAM und AM Plus, meinte: „In Österreich droht uns aktuell die wohnortsnahe Primärversorgung wegzubrechen. Unser Apell muss sein, dass wir die Primärversorgung forcieren. Dort wird die Basis für eine erfolgreiche Arbeit in den höheren Segmenten des Gesundheitssystems gelegt. Dies sollte sich auch in der Ausbildung der Ärzte an den Universitäten widerspiegeln. Wir sollten es schaffen, dass die besten Ärzte in den primären Bereich gehen. Wenn Sie nach Skandinavien blicken, ist die Stärkung dieses Bereiches bereits Realität.“

Mag. Dr. Ulrike Mursch-Edelmayr, Präsidentin der Apothekerkammer Oberösterreich, analysierte die Primärversorgung aus Sicht der Apothekerinnen und Apotheker: „Aus meiner Sicht haben wir einen permanenten Kostenkrieg im österreichischen Gesundheitssystem. Wir Apothekerinnen sind mit unserem Fachwissen, unserer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung und unserer örtlichen Nähe zu den Patienten eine wichtige Säule der Primärversorgung und wollen helfen die Systemgrenzen zu sprengen. Eine große Gruppe der Patienten kann nach apothekerlicher Beratung im Rahmen einer strukturierten Selbstbehandlung gesunden. Zusätzlich weisen wir regelmäßig Patienten und Patientinnen mit dringlichem Bedarf zur ärztlichen Abklärung zu.“ Mona Knotek-Roggenbauer, Präsidentin von Europa Donna Austria, perspektiverte die Lage der Gesundheitsversorgung aus Sicht der von Brustkrebs Betroffenen: „Ich glaube Kommunikation und Transparenz sind aus Patientensicht dringend zu verbessern. Obwohl viele Patientinnen sich oft gut informiert glauben, ist das nicht die Information, die sie benötigen würden. Informationen aus dem Internet können Kontakt mit einem empathischen und informierten Arzt nicht ersetzen. Hier wünschen sich Betroffene dringend transparente Kommunikation durch Ärzte und andere Gesundheitsberufe.“ Mag. Marion Kronberger, die als Vertreterin des Berufsverbandes der Psychologinnen, sprach über den im öftentlichen Diskurs oft vernachlässigten Themenkomplex rund um psychische Erkrankungen und betriebliche Vorsorge: „Psychische Erkrankungen nehmen zu, daher ist klinische Psychologie im Gesundheitssystem besonders wichtig. Am Beispiel wichtiger betrieblicher Gesundheitsförderung, „fit to work“ lässt sich gut erkennen, dass Krankenstände und Krankenhausaufenthalte zurückgehen, wenn Betroffene betreut werden. Die Unterstützung im psychischen Bereich ist daher besonders essentiell.“

Zuletzt wurde auf pragmatische Weise über das Thema der Finanzierbarkeit gesprochen. Dr. Klaus Schuster, Policy Lead Region Europe, Hoffmann-La Roche Ltd., führte den Begriff der Nachhaltigkeit ins Treffen: „Es gibt unglaubliche Innovationen in der Möglichkeit der Therapie vieler Erkrankungen. Ich sehe ein unglaubliches Feld an innovativen Präparaten in der aktuellen Pipeline. Wir müssen mehr über den Begriff der Nachhaltigkeit diskutieren, allerdings nicht nur auf die Kosten beschränken sondern gesamtgesellschaftlich gesehen. Forschung und Innovation kann gutes für die Patienten bewirken, statt Gießkannenförderung muss allerdings fokussiert gefördert werden, um wettbewerbstauglich zu sein.“ Mag. Martin Schaffenrath, stellvertretender Vorsitzender des Verbandvorstandes im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger, fasste wesentliche Themen der Diskussionsrunde zusammen und respondierte als Vertreter der Krankenkassen auf die Meinungen der anderen Experten: „Wir müssen die Gesundheitskompetenz stärken. Ich sehe als Ziel der Reformmaßnahmen, dass unsere Versicherten die Sozialversicherung in erster Linie als ihr „Gesundheitsservice“ sehen und dass unsere Versicherten rasch in den Genuss aller medizinischen Innovationen bei der Behandlung von Krankheiten kommen. Wir brauchen einen effizienten Mitteleinsatz, der auch verstärkt beim Versicherten ankommt. Im Verwaltungskostenbereich sind wir sehr gut aufgestellt. Der Bundeszielsteuerungsvertrag wurde erst kürzlich verlängert, der ein Bekenntnis für partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bund, Sozialversicherung und Land darstellt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau der Primärversorgung, da wir mehr im ambulanten Bereich machen müssen.“

Der erste Abend des Gesundheitsforums PRAEVENIRE fand nach der Diskussion bei einem gemeinsamen Abendessen der 80 Teilnehmer seinen Abschluss.


Zielsetzung des Gesundheitsforums ist es, vorhandenes Wissen in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Experten in Programme zu übersetzen, deren Umsetzung einen direkten Nutzen für die Bevölkerung stiftet. Vor diesem Hintergrund wurden Themenkreise ausgewählt, die jeweils eine zentrale Bedeutung im Sinne der Gesundheitsreform einnehmen. Die im Rahmen des Forums ausgearbeiteten Projekte der Gemeinde wurden nun präsentiert und sollen für alle Altersklassen interessant und zugänglich gestaltet werden.



Alle Bilder:


https://www.welldone.at/presse/artikel/praevenire-gesundheitsforum-feierliche-eroeffnung-und-rueckblick-auf-praevenire-2016