PRAEVENIRE GESUNDHEITSFORUM SEITENSTETTEN: CHRONIC DISEASES & OBESITY Im Rahmen des PRAEVENIRE Gesundheitsforums wurde „Chronic Diseases & Obesity“ am 15. April, als letzter von vier Themenschwerpunkten, umfassend diskutiert. Auf Basis von österreichischen Beschlüssen wird nun ein Modell zur konkreten Umsetzung in der Marktgemeinde Satteins (Vorarlberg) entwickelt Laut dem IDF Diabetes Atlas litten im Jahr 2015 beinahe 60 Millionen Menschen an Diabetes. Das Bundesministerium für Gesundheit schätzt die Anzahl der in Österreich lebenden Diabetiker auf rund 573.000 bis 645.000 Menschen. Diese Problematik aufzugreifen und effektive Gegenmaßnahmen zu generieren war ein Themenschwerpunkt des Gesundheitsforums PRAEVENIRE. Unter dem Titel „Diabetes & Obesity“ trugen nationale und internationale Experten ihr Fachwissen zusammen, um daraus für Österreich passende Modelle zu schaffen. Ziel war es, dass internationales Wissen, angelehnt an Beschlüsse aus Österreich, in heimischen Gemeinden umgesetzt wird. Im Anschluss an das Gesundheitsforum in Seitenstetten wird in der Vorarlberger Gemeinde Satteins das Thema Diabetes und Fettleibigkeit über mehrere Monate durch eigene Projekte behandelt. Seittenstetten/Wien – 18. April 2016: Die Behandlung und die längerfristige Betreuung von chronisch kranken Menschen ist für das österreichische Gesundheitssystem eine große Herausforderung, da chronisch Kranke oft sektorenübergreifend behandelt werden müssen. Trotzdem ist das Gesundheitssystem in Österreich vorwiegend auf die Versorgung von Akutpatienten ausgerichtet. Die Relevanz und den dringenden Aufruf zum Handeln, speziell in den Themenbereichen Diabetes und Fettleibigkeit, wurde in einem Expertengespräch, moderiert von Hanns Kratzer, Geschäftsführer der Peri Consulting GmbH, behandelt. Expertenmeinungen muss mehr Beachtung geschenkt werden Dorjan Marušič, ehemaliger Gesundheitsminister Sloweniens, fordert in seinem Eröffnungsstatement des Themenbereichs mehr Offenheit für Vorschläge von Public Health-Experten, da durch die steigende Lebenserwartung auch chronische Krankheiten steigen werden. „Uns erwartet in den nächsten Jahren eine massive Erhöhung der Lebenserwartung. Wir werden länger leben. Es gibt Schätzungen, dass mit dem Altern die Häufigkeit von chronischen Erkrankungen steigen wird. Wir werden uns arrangieren müssen, mit chronischen Erkrankungen zu leben. Nichtübertragbare Krankheiten wie Herzprobleme, Krebs, chronische Lungenerkrankungen und Diabetes sind verantwortlich für beinahe 70% aller Todesfälle. Davon sterben fast 75% der Betroffenen, bevor sie das 70. Lebensjahr erreichen. Das Ansteigen dieser Krankheiten lässt sich auf vier Hauptfaktoren zurückführen: Konsum von Tabakwaren, wenig Bewegung, übermäßiger Alkoholkonsum und ungesunde Ernährung. Leider werden nützliche und wertvolle Ratschläge zum Thema gesunder Lebenswandel, vorgeschlagen von nationalen und internationalen Experten, zu wenig Beachtung geschenkt. Ein gesunder Lebenswandel kann nur durch Aufklärung über die richtige Ernährung und dem Ermutigen zu körperlichen Aktivitäten erfolgen. Hier müssen die betroffenen Zielgruppen abgeholt und informiert werden. Wir müssen uns auf Bürger fokussieren, nicht nur auf Patienten“, so Marušič. Wert der Gesundheitsökonomie Dr. Willy Oggier, Schweizer Gesundheitsökonom aus Küsnacht,  stellte die Frage, inwiefern Ökonomie einen sinnvollen Beitrag im Bereich der Diabetes leisten kann. „Wenn wir über Public Health Fragen sprechen, geht es nicht um betriebswirtschaftliche, sondern um volkswirtschaftliche Aspekte. Was für ein Unternehmen gut ist, muss nicht zwingend für die Volkswirtschaft gut sein. Die Volkswirtschaftslehre kann für Veränderungen sensibilisieren. Wichtig hierbei sind vor allem demografische und soziale Veränderungen. Heute ist die integrierte Versorgung horizontal, es wäre jedoch eine vertikale Integration gefragt. Es gilt Leute zu lenken und zu beraten, nicht sie zu steuern. Bildung alleine ist jedoch weltweit kein Allheilmittel, wenn es um die Behandlung chronischer Erkrankungen geht. Diabetes verursacht hohe Kosten. Etwa die Hälfte der Kosten entstehen direkt, die andere Hälfte indirekt - etwa durch Krankschreibungen. Wir wissen die ganz genaue Anzahl der Diabetiker in der Schweiz nicht, trotzdem sind 27% der Krankheiten chronische Erkrankungen und diese machen rund 80% der gesamten Gesundheitsausgaben aus. Kosten werden in der Zukunft überproportional steigen, wenn nichts geschieht", plädiert Dr. Willy Oggier für rasche Handlungen zur Eindämmung von Diabetes. Diabetes in Österreich Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder, Vizerektorin für Lehre und Leiterin des Zentrums für Public Health der Medizinischen Universität Wien, schlug mit ihrem Vortrag die Brücke von der Schweiz nach Österreich. Laut Rieder wurde in Österreich seit Beginn der 1960er Jahre zur Diabetes-Prophylaxe geforscht. Bereits zu dieser Zeit war die Vermeidung von Spätfolgen ein Thema. „Im Jahr 2004 ging man von 300.000 bis 315.000 Diabetikerinnen und Diabetikern in Österreich aus“, so Dr. Rieder, „diese Anzahl stieg 2009 auf 420.000 Personen. Laut Diabetesbericht 2013 sind ungefähr 645.000 Menschen von Diabetes betroffen. Soziodemografische Gegebenheiten sind von großer Bedeutung bei Maßnahmen zur Diabetes-Prophylaxe. Man darf Diabetes nicht als Wohlstandskrankheit betiteln – genau das Gegenteil ist der Fall. Jene, denen es in einer Gesellschaft am wenigsten gut geht, haben die höchste Wahrscheinlichkeit, an Diabetes zu erkranken. Wir haben nicht nur ein regionales, sondern auch ein soziales Gefälle. Die Diversität der Bevölkerung muss bei Präventionsmaßnahmen zu Diabetes berücksichtigt werden. Die Frage, wann eine Health Policy eingeführt wird, ist jedoch immer auch eine politische Frage. Die Policies aus dem Jahr 2004 haben inhaltlich noch immer Gültigkeit. Wir verfügen über evidenzbasierte Strategien. Wir sollten sie auch einsetzen “, so Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder. Podiumsdiskussion und Projektentwicklung Im Rahmen der Podiumsdiskussion zum letzten Themenbereich des PRAEVENIRE Gesundheitsforums verwiesen John Bovis, ehemaliger Gesundheitsminister UK, und Dorjan Marušič, ehemaliger Gesundheitsminister Sloweniens, auf die Relevanz des Werkzeugs der Kommunikation, wenn es um die Aufklärung von Diabetes geht. Laut den Politikern muss die ganze Familie erreicht werden – dieser Prozess sollte bereits in den Grundschulen und in Vereinen beginnen. Christian Baeza, Director of Health Systems des Institute for Health Metrics an Evaluation, ergänze diesen Punkt mit dem Aufruf, dass die Bevölkerung mehr über die Vorteile einer gesunden Ernährung informiert werden muss. Dieser Punkt sollte auch, so Beaza, ein Aufgabenbereich von Politikern sein. Dr. Miklos Szocska, Director of the Health Service Management Training Center der Semmelweis Universität Budapest, fasst zusammen, dass die Auswirkungen von Zuckerkonsum, Tabakkonsum und mangelnder Bewegung und deren Auswirkungen vorliegen. Dennoch ist es nicht einfach, zu politischen Entscheidungsträgern durchzudringen. Um auf Gemeindeebene chronischen Krankheiten entgegenzuwirken merkte Prim. Prof. Dr. Karl Lhotta, Leiter der Abteilung Nephrologie und Dialyse des LKH Feldkirch, an, dass durch Information und präventive Screening-Untersuchungen bereits im Vorfeld Probleme aufgedeckt werden und so erste Schritte leichter eingeleitet werden könnten. Dr. Harald Stingl, Leiter der Abteilung für Innere Medizin des Landesklinikum Melk, ergänzt, dass niedergelassene Ärzte in den Gemeinden dem Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv“ beitreten könnten, damit eine größere Vernetzung von Wissen stattfinden kann. Weiters müssten Hausärzte speziell im Hinblick auf Diabetes verschärft auf die Gefahren von zuckerhaltigen Speisen und Getränken aufmerksam machen. Dr. Wolfgang Zillig, Allgemeinmediziner und Vizepräsident der Oberösterreichischen Gemeinschaft für Allgemeinmedizin, fügt abschließend hinzu, dass auch die Schulärzte eine entscheidende Rolle in diesem Prozess einnehmen. Es müssten bereits im Volksschulalter konkrete Maßnahmen gegen Übergewicht in die Wegen geleitet werden. Auf Basis von österreichischen Beschlüssen und des in den Vorträgen gesammelten Wissens entwickelten die Teilnehmer des PRAEVENIRE Gesundheitsforums im Rahmen von Workshops ein Projektmodell zur konkreten Umsetzung in der Vorarlberger Gemeinde Satteins. Über  das Gesundheitsforum PRAEVENIRE 2016: PRAEVENIRE ist eine unabhängige Initiative mit dem Ziel eines gesunden Menschen in einer gesunden Umgebung. Das PRAEVENIRE Gesundheitsforum fand dieses Jahr erstmals, unter der Leitung von Dr. Armin Fidler, von 13. bis 16. April im niederösterreichischen Stift Seitenstetten statt. PRAEVENIRE bietet vier ausgesuchten Gemeinden (Bruck an der Mur, Haslach, Pöggstall und Satteins) die Möglichkeit, von erfolgreichen internationalen Lösungen zu Fragen des Gesundheitssystems zu lernen und mit entsprechenden Experten auf Österreich angepasste Modelle zu entwickeln. Der starke Fokus auf die nachhaltige Umsetzung dieser Modelle mit regionalen Partnern in der jeweiligen Gemeinde zeichnet PRAEVENIRE aus. So findet internationales Know-how Einzug in heimische Best-Practice-Beispiele. Die in Seitenstetten entwickelten Projekte werden nun über einen Zeitraum von einem Jahr in den jeweiligen Partnergemeinden umgesetzt. Durch die einjährige Begleitung von PRAEVENIRE können die einzelnen Gemeinden, nach der Realisierung der Projekte, einen Vorher-nachher-Vergleich ziehen und Resultate miteinander vergleichen. PRAEVENIRE wird im Mai 2017 erneut in Seitenstetten stattfinden.