06.10.2016
Pressemeldungen

GIPFELGESPRÄCH IM SERVITENVIERTEL: RHEUMATOIDE ARTHRITIS



Der World Arthritis Day am 12. Oktober steht heuer ganz unter dem Motto »It’s in your hands, take action«. In Österreich sind etwa 60.000 Menschen von rheumatoider Arthritis betroffen. Die Erkrankung entwickelt sich sehr rasch, wodurch nur ein kurzes Zeitfenster für den sinnvollen Start einer Therapie verbleibt. Eine Expertenrunde beleuchtete beim Gipfelgespräch im Servitenviertel, in Kooperation mit der Med Uni Wien, der Österreichischen Rheumaliga und dem PERISKOP, die Situation der Patienten vor 20 Jahren, heute und in der Zukunft.

Versorgungssituation in Österreich: eine Bestandsaufnahme

In den letzten Jahren hat sich hinsichtlich der Versorgungssituation in Österreich viel getan: Die Überweisung vom praktischen Arzt zum Facharzt erfolgt rascher, Akutsprechstunden wurden eingeführt und Rheumaschwester übernehmen Teile der Patientenbetreuung. Akutsprechstunden dauern im Schnitt 15 Minuten und sollten flächendeckend eingeführt werden, um allen Patienten einen zeitnahen Termin zu offerieren. Dr. Rudolf Puchner, niedergelassener Internist aus Wels, setzt sich in Oberösterreich seit drei Jahren stark dafür ein: „Eine flächendeckende Einführung von Akutsprechstunden wäre natürlich wünschenswert, aber dies ist noch ein weiter Weg. Die Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation würde sich natürlich eine gleichmäßige Verteilung von Spezialisten wünschen. In Oberösterreich arbeiten wir momentan an einer Untersuchung, um alle Neuerkrankungen von Patientinnen mit rheumatoider Arthritis in einem bestimmten Zeitraum zu erfassen. Dies wird in Oberösterreich auch von der Gebietskrankenkasse, der Ärztekammer und dem Land unterstützt. Die Kenntnis über die Anzahl der pro Jahr an RA neuerkrankten Patientinnen hat nicht nur für Oberösterreich sondern für den europäischen Zentralraum eine nicht unwesentliche gesundheitsökonomische Dimension und leistet zudem einen Beitrag im Sinne der Versorgungsforschung.“

Raum für Besserungen trotz Fortschritt

Es gibt allerdings nach wie vor zu wenige Rheumatologen vor allem im niedergelassenen Bereich und lange Wartezeiten an den Ambulanzen. Generell ist die Betreuung der Patienten aufwendig, da Rheumatoide Arthritis eine chronische Erkrankung ist, die in Schüben verläuft, Beeinträchtigungen in alle Lebensbereichen mit sich bringt. Das Medikamentenmanagement ist komplex, da subkutane/iv Applikation der Biologika. Bis dato sind ausschließlich parenterale Biologika bei Rheumatoide Arthritis verfügbar. Beim Treat to target-Konzept ist das Ziel die Remission. Trotz vieler Therapien ist die Remissionsrate noch immer zu niedrig (< 50% in Registern). Und es existieren noch immer keine Marker, um die Wirksamkeit verschiedener Biologika vorherzusagen (Trial and Error-Prinzip). Ein schnelles Abklären und rasches Handeln verkürzt die Dauer einer nutzlosen Therapie.

Die Wichtigkeit der Reha, in der man drei bis 6 Wochen von einem umfassenden ärztlichen Team betreut wird, bestehend aus Psychologen und Diätologen, sollte weiter an Bedeutung gewinnen. Prim. Doz. Dr. Valerie Nell-Duxneuner, Ärztliche Leiterin Klinikum Peterhof & Ludwig Boltzmann Institut für Epidemiologie rheumatischer Erkrankungen, dazu: „Wir müssen bei den Patienten flexibler und maßgeschneiderter vorgehen, im Sinne einer personalisierten Rehabilitation. In den letzten Jahren haben wir neben der stationären Rehab auch eine vollkommen gleichwertige ambulante Rehab anzubieten. Das ist vor allem interessant für berufstätige Patienten, die dadurch weiter im Berufs- und Privatleben eingegliedert sein können. Für die Zukunft müssen wir an einem viel leichteren Zugang für den Patienten zur Therapie und mehr Bewilligungen für Patienten arbeiten. Um diese zu identifizieren muss die Awareness auch unter den zuweisenden Ärzten gesteigert werden.“

Viele Patienten leiden trotz Therapie noch immer unter täglichen Schmerzen, Morgensteifigkeit, Müdigkeit. Die Betreuung durch Gesundheitsberufe sollte von der Diagnose bis hin zur Therapie gehen. Mag. Martin Schaffenrath, Vorsitzender-Stv. des Verbandsvorstandes im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, artikuliert folgende Anliegen: „Anlässlich des World Arthritis Day’s wünsche ich mir, dass den Patienten mehr Zeit im Arztgespräch geschenkt und individuelle Therapiepläne mit umfassenden Informationen erstellt werden. Die Gesundheitskompetenz und das Wissen über die eigene Gesundheit halte ich für einen der wichtigsten Faktoren in Bezug auf die Gesundheitserhaltung. Prävention und Vorsorgemedizin ist der Schlüssel dafür und hier müssen wir seitens der öffentlichen Träger noch mehr Geld in die Hand nehmen. Auch eine schnellere und effizientere Wiedereingliederung in den Beruf nach der Krankheit ist ein weiteres Ziel, das wir als Sozialversicherung forcieren müssen.“

Behandlung: damals und heute

Seit Einführung der Biologika stehen viele Behandlungsoptionen zur Verfügung, die den Krankheitsverlauf beeinflussen und irreversible Gelenksschäden verhindern können. Dem Therapieziel (Remission) konnte damit sehr nahe gekommen werden, allerdings erreichen nach wie vor nicht alle Patienten dieses. Darüber hinaus bleiben PROs („Patient Reported Outcomes“) hinzureichend adressiert, wie Schmerz, Fatigue und Müdigkeit, die den Patienten im Alltag ebenso massiv beeinträchtigen. Hinzukommt, dass Diskrepanzen zwischen klinischen Zielen und den Bedürfnissen von Patienten bestehen.Die Bedeutsamkeit der raschen Diagnose und Überweisung zum Facharzt ist ebenso wichtig wie die Kommunikation zwischen Praktiker und Facharzt. Das bestätigt auch Dr. Christoph Dachs, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin: „Ich sehe es als wichtigste Aufgabe von uns Allgemeinmedizinern, dass wir die Früherkennung und Erstdiagnostik vornehmen. Für die manchmal nicht einfache Diagnose Rheuma spielt die Zusammenarbeit mit den Rheumatologen eine wichtige Rolle. Wir haben in Salzburg die eher gute Situation, dass wir im Gegensatz zu anderen Bundesländern mehrere Rheumatologen oder spezifische Ambulanzen zur Verfügung haben - auch am Land. Die Begleitung des Patienten ist im Zeitalter von Polypharmazie eine wichtige Aufgabe der Hausarztmedizin. Die Abstimmungsprozesse der medikamentösen Therapie müssen aber immer in enger Kooperation mit dem Rheumatologen erfolgen.“ Für die Zukunft wünscht Dachs sich verbesserte Strukturen in der Zusammenarbeit im Fach- und im niedergelassenen Bereich und Awareness nach Innen bei den Allgemeinmedizinern.

Unmet Need: Hausaufgaben für die Zukunft

Nach wie vor ist keine kurative oder präventive Therapie in Sicht. Das heißt, dass Patienten mit einer chronischen und lebenslangen Krankheit und Therapie umgehen müssen. Ein klarer Fokus für die Zukunft muss auf die Betreuungsoptimierung gelegt werden. Direkt aus Betroffenensicht schildert Walter Strobl, Leiter Selbsthilfegruppe „Rheuma“ Burgenland Österreichische Rheumaliga, seinen Alltag mit Morbus Still: „Seit meinem ersten Lebensjahr leide ich an dieser Krankheit. Wenn Rheuma-Schübe auftreten, bin ich sehr stark in meiner Lebensqualität eingeschränkt und kann meinen Beruf teilweise nicht ausüben. Die letzten Jahre waren aufgrund der zahlreichen Operationen und zum Teil heftigen Rheumaschüben eine sehr schmerzintensive Zeit. Therapien und Medikamente haben sich in den letzten Jahrzehnten definitiv stark verbessert, wobei aus meiner Sicht im Bereich bei Rheumaerkrankung noch großer Handlungsbedarf besteht, insbesondere in Bezug auf Kur-/Rehaaufenthalte, kurzfristige Versorgung durch Rheumatologen und Verkürzung der Wartezeiten auf einen Behandlungstermin.“ Die Stärkung der Rolle der Patienten und deren persönlicher Therapieziele (z.B. Schmerzfreiheit) ist genauso essenziell, wie der Therapieentscheidungsprozess. Sogenannte Shared Decisions zwischen Arzt und Patient ist eines der Grundprinzipien der EULAR-Leitlinien und damit kann auch die Therapiecompliance verbessert werden.

„Die offenen Punkte sehe ich bei den Versorgungsdaten, die wir gerne mit klinischen Daten kombinieren würden um spannende Fragestellungen zur Versorgungssituation analysieren zu können. Im Bereich der Register sind wir in Österreich auch noch im Anfangsstadium. Größere Datenmengen und die Vernetzung verschiedener Datenquellen ist aus meiner Sicht zielführend und eine klare Zukunftsaufgabe. Außerdem sollte man an der Zusammenarbeit von Patienten, Rheumatologen und Gesundheitspersonal weiter arbeiten, um eine noch engere Vernetzung zum Wohle der Patienten zu erreichen“, postuliert Univ.-Prof. Dr. Tanja Stamm, Leiterin des Instituts für Outcomes Research an der Med Uni Wien.

Zukunftsperspektive: ein Blick nach vorne

In die nahe Zukunft geblickt ist zu erwarten ist, dass durch neue Therapien mit alternativen Wirkansätzen und Darreichungsformen bislang ungedeckte Bedürfnisse adressiert werden können. Neue Therapieoptionen, neue Wirkmechanismen und Applikationsformen (Tabletten, etc.) vergrößern die Möglichkeiten einer individuellen Therapie. Dem stimmt auch Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Smolen, Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin III an der Med Uni Wien, zu: „Wir haben messen gelernt. Wir haben Instrumente entwickelt, die bei der Messung des Endpunktes einer klinischen Studie und neuen Therapie tatsächlich zwischen Scheinmedikament oder Kontrollmedikament und besonders aktivem Medikament differenzieren kann. Wir haben neue Medikamente entwickelt und gelernt mit den alten Medikamenten besser umzugehen. Wir haben Biologika etabliert und vor allem die TNF-Blocker waren damals ein dramatischer Fortschritt.“

Aus Sicht der Patienten sieht Dr. Sigrid Pilz, Wiener Pflege- und Patientenanwältin, den Lifestyle-Faktor als essenzielle Säule in der Therapie. Dazu gehört Gesundheitswissen, Handlungswissen und eine realistische Einschätzung der Behandlungsziele. „Ich sehe es als Aufgabe der Primärversorgung, Patienten in einer Art Coaching zu begleiten und sie über die Wichtigkeit von Ernährung und Bewegung aufzuklären. Uns ist es besonders wichtig, dass ein Wissenstransfer bei den Patienten stattfindet. Wenn es um große Versorgungsdefizite geht, dann brauchen wir dringend die Forschung, um weiterzukommen. Ich sehe gerade bei der Gruppe der sozial benachteiligten ein großes Verbesserungspotenzial. Die richtige Versorgungsebene und Verteilung für alle, egal ob im urbanen oder ruralen Raum – das wünsche ich mir für die Zukunft. Ein kritisches Auge sollte man auf die Über- und Fehlversorgung werfen“, so Pilz abschließend.

Die Teilnehmer (in alphabetischer Reihenfolge):

Dr. Christoph DACHS | Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin

Prim. Doz. Dr. Valerie NELL-DUXNEUNER | Ärztliche Leiterin Klinikum Peterhof & Ludwig Boltzmann Institut für Epidemiologie rheumatischer Erkrankungen

Dr. Sigrid PILZ | Wiener Pflege- und Patientenanwältin

Dr. Rudolf PUCHNER | niedergelassener Internist aus Wels

Mag. Martin SCHAFFENRATH | Vorsitzender-Stv. des Verbandsvorstandes im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger

Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef SMOLEN | Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin III an der Med Uni Wien

Univ.-Prof. Dr. Tanja STAMM  | Leiterin des Instituts für Outcomes Research an der Med Uni Wien

Walter Strobl  | Leiter Selbsthilfegruppe „Rheuma“ Burgenland Österreichische Rheumaliga (ÖRL)

Moderation: Robert RIEDL | PERI Group


Alle Bilder:


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